Mit dem Rad zur Arbeit ?
Mit dem Rad zur Arbeit ?
2011
(14.08.2011) Seit vielen Jahren mache ich etwas, was – je nach Sichtweise – Anerkennung, Kopfschütteln oder auch ehrliches Mitleid bei allen denen hervorruft, die mich dabei mal sehen oder davon erzählt bekommen: ich fahre jeden Tag, und bei nahezu jedem Wetter mit dem Fahrrad zweimal 14 Kilometer. Das ist die Strecke von meinem Wohnort im kleinen Hemme zum Bahnhof der Kreisstadt Heide. Morgens hin, abends zurück. – immer die gleiche Strecke.
Je nach Wetterlage dauert die die einfache Fahrt zwischen etwa 25 und 90 Minuten. Warum dieser große Unterschied? Fahren Sie mal im Gegenwind mit Böen der Stärke 7 auf völlig freier Fläche mit dem Rad. Das sind dann so die Momente, in denen auch mir als eingefleischtem Norddeutschen irgendwelche Berge überhaupt nicht mehr fehlen. Und jeder noch zu kleine Windschutz wird zum Freund.
Im Winter mit minus 10 Grad oder noch kälter? Kein Problem, dafür gibt es gute Kleidung und - solange meine lieben Mitbürger nicht ihren Schnee auf dem Radweg entsorgen – auch freie Fahrt. Wenn nicht anders geht bin ich sogar mit Spikereifen auf spiegelblank gefrorenem Radweg unterwegs (ja, die darf man tatsächlich noch am Fahrrad haben). Da hat schon mancher Autofahrer komisch gekuckt, wenn ich schneller anfahre als er. Sogar Überholen hätte ich ab und zu an solchen Tagen schon mal können. Habe mich aber nicht getraut.
Konsequenterweise habe ich von mehr als vier Jahren mein bis da fast nur noch zum Pendeln genutztes Auto verkauft. Für mich bedeutet das jetzt immer einen sanfter Zwang, es doch morgens wieder mit dem Rad anzugehen. Auch wenn es gilt, gegen Wind und bei Regen die bei jedem Wetter fast schmerzhaft pünktliche Nord-Ost-See-Bahn in Heide noch zu erwischen. Für mich ist das der sportliche Start in den Tag, Ausgleich zu regelmäßig langen Arbeitstagen und hilft mir hervorragend, den Kopf frei zu bekommen.
Und ich erlebe auf diesen täglichen Fahrten eine Menge. Nicht, dass es viele Gleichgesinnte zu treffen gäbe. Eher nicht und wenn doch einmal wird es auch schnell gefährlich, denn da träumen dann morgens mal schnell zwei aufeinander zufahrende Radfahrer vor sich hin. Höhepunkt sind immer wieder die im Dunkeln wie Gespenster schlagartig auftauchenden, schnellen Kids in ihren schwarzen Klamotten, ohne jegliches Licht am Rad, aber mit laut schreiendem MP3 Player im Ohr. Das Leben stellt mich doch immer wieder vor neue Herausforderungen.
Berichten möchte ich von meinen Erlebnissen, vielleicht auch zum Nachdenken oder zu Veränderung anregen. Bestärkt fühle ich mich dabei durch Aktionen wie „Mit dem Rad zur Arbeit“ oder „Stadtradeln“, bei denen ich gerne mitwirke und so auch etwas Hoffnung erhalte, dass ich als Radfahrer nicht nur Opfer rücksichtsloser Autofahrer bin. Sonst wäre es schon langsam schwer zu ertragen, wenn mir fast wöchentlich ein Autofahrer lächelnd die Vorfahrt nimmt. Sorry, dass ich nicht zurück grüße – aber ich brauche gerade beide Hände am Lenker für die Notbremsung. Vielleicht schaffe ich es noch einen freundlichen Gruß zuzurufen – ich bitte um Nachsicht, wenn das etwas laut ist und kurz angebunden wirkt.
Und – toi toi toi – bisher ist das auch fast immer gut gegangen. Nur einmal hat mich eine ältere Dame mit ihrem Auto „vom Fahrrad geschossen“: Unfall, Schulter gebrochen. Für die Radfahrer unter den Lesern: Toxi III rechts, willkommen im Club Die Dame hat mich vor dem Gasgeben noch freundlich angesehen – hat mich aber nicht gesehen, sagte sie später. Bei 185 cm Lebensgröße, über 100 Kg, Licht am Rad (Tag und Nacht) bin ich ja auch eher unscheinbar.
Autos auf dem Fahrradweg abgestellt oder geparkt? Wieso muss ich das Gefühl haben, dass ich mich dafür entschuldigen muss?
Warum spiele ich eigentlich mit dem Gedanken, mir eine kleine Kamera an den Lenker zu bauen und die immer mitlaufen zu lassen? Bin ich denn einfach zu faul, so oft anzuhalten, abzusteigen und schnell ein paar Fotos zu machen? Vermutlich ja, aber mal sehen was die Zukunft bringt.
Hier soll es um ein paar Erfahrungen gehen, die mich doch eher zum Zweifeln an mir selber und an Ernsthaftigkeit führen, mit der das Radfahren als eher gewünschte, umweltfreundliche Alternative zum Auto gefördert wird. Ist das eigentlich wirklich ernst gemeint?
Ich fange mal klein an: da wäre der Radweg am alten Landweg in Weddingstedt, etwa auf Höhe Weg 2. Der Weg ist dort auf rund hundert Metern seit Jahren so kaputt, dass es mich regelmäßig fast vom Rad haut. Bei Regen geht es durch tiefe Pfützen. Juchuu – das habe ich schon als Kind gerne gemacht. Aber da war ich ja auch nicht auf dem Weg zur Arbeit. An dieser Stelle hat sich zwar vor gut zwei Jahren auf mein Drängen mal etwas getan. Freundliche Bauarbeiter haben damals einen riesigen Wurzelaufbruch ausgraben und ein paar Steine eingesetzt – das war’s dann aber auch. Ich frage mich inzwischen jeden Tag, wer eigentlich bei einem Sturz für die Kosten aufkommt. Bisher ist mir hier nur einmal die Sattelstütze gebrochen: Glück gehabt!
Schlimm ist auch der Radweg im Verlauf der alten B5. Fahre ich von Heide in Richtung Lunden, so ist unmittelbar hinter dem Ortsausgang von Weddingstedt eine nur wenige hundert Meter lange Strecke, die inzwischen so kaputt ist, dass hier Wurzelaufbrüche mit bis zu 15 cm Höhenunterschied sportlich zu überwinden sind. Bis zum Ende der ersten Kurve ist das Abenteuer pur – wie der berühmte Ritt auf dem bockenden Stier. Das ist noch nicht sehr lange so, nur etwa 5 oder 6 Jahre. Aber, es wurde gehandelt: seit mehr als zwei Jahren stehen dort kleine Warnschilder.
Warnschild hinter Weddingstedt
Sonst ist leider nichts passiert, nur die Schäden werden immer gravierender. Mehr Abenteuer eben. Besonders herausfordernd ist das Fahren dann, wenn Schnee gnädig alles bedeckt oder dichter Neben die Sicht einschränkt. Dann reißt es mir hier regelmäßig den Lenker aus der Hand, selbst als Kenner dieser Strecke und eher vorsichtigem Fahrer.
Aber damit auch zum neuen Höhepunkt der täglichen Fahrt: auf der gleichen Strecke folgt dann, wenige Kilometer weiter, der neu gebaute Bahnübergang im Verlauf der alten B5, kurz hinter dem Steller Berg. Es geht mir nicht darum, dass während der über viele Monate laufenden Bauarbeiten der Fahrradweg gerne auch mal als Abstellplatz und Müllhalde genutzt wurde. Höhepunkte wie die ungesichert im Dunkeln auf dem Radweg abgelegte, riesige Baggerschaufel sollen hier also gar nicht interessieren, dass buche ich mal gedanklich unter sportlicher Herausforderung ab. Das der Radweg von den Baumaschinen kaputt gefahren wurde (natürlich bis heute ohne Reparatur) und völlig verdreckt verlassen wurde überrascht mich schon lange nicht mehr.
Es geht um die Konstruktion der neuen Anlage aus meiner Sicht, der des einsamen Radfahrers. Sicherlich ist es erst einmal eine tolle Idee, die vorher schräge Querung der Bahngleise umzubauen auf eine rechtwinklige. Schräg heißt, dass ich immer Gefahr lief mit dem Rad in den Spurrillen der Gleise hängen zu bleiben. Die Gefahr ist mit der neuen Konstruktion beseitigt. Klasse, vielen Dank liebe Bauarbeiter. Dafür ist jetzt der Sturz mit dem Rad beim überwinden der neuen Schikane vorprogrammiert. Das ist mir bisher zum Glück erst einmal passiert. Wie gesagt, ich kenne die Strecke und fahre ja eher vorsichtig – aus gutem Grund.
Einfahrt in die Schikane Schilda?
Das Kiesbett
Fahre ich aus Weddingstedt kommend auf diesen Bahnübergang zu, sehe ich zuerst eine mit grobem Kies aufgefüllte Unterbrechung der Teerdecke. Da wurde von den fleißigen Bauarbeitern wohl ein Kabel quer zum Radweg verlegt. Dazu muss man natürlich auch den Teer wegschneiden und tief buddeln. Aber heute: überall eine geschlossene Asphaltdecke, nur da nicht? Wurde da etwas vergessen? Passiert da vielleicht noch irgendwann mal was?
Lange Zeit war ich Zuversichtlich: da passiert noch was. Die Bauarbeiter haben ja auch noch das Schild „Baustelle“ stehen gelassen und die armen Autofahrer dürfen immer nur noch 70 km/h fahren. Das wurde ja wohl auch nicht nur vergessen.
Aber vielleicht ist dieses Kiesbett ja auch Absicht. Denn so etwas habe ich ganz woanders schon mal gesehen. Auf einigen Autobahnen gibt es am Ende von steilen Gefällestrecken diese Kiesbetten, in denen nicht mehr abzubremsende Fahrzeuge zu stehen kommen können. Macht das hier Sinn? Bug oder Feature?
Nach ersten Zweifeln an dieser Überlegung dann die schnelle Erkenntnis: das macht Sinn. Denn während ich noch bremsend aus dem Kiesbett vor diesem Bahnübergang herausfahre muss ich auch schon die brutale, rechtwinklige 90 Grad Rechtskurve nehmen. So eine Konstruktion habe ich außer Orts in meiner langen Radfahrer Zeit noch nicht gesehen. Das ist selbst in langsamer Fahrt kaum zu schaffen. Dazu kommt das direkt in der Kurveninnenseite geschickt platzierte Verkehrsschild. Also: Kopf einziehen, Zuversicht ausstrahlen und irgendwie rum. Bis hier geschafft, jetzt nur noch mit dem Rollsplitt klarkommen, der – warum auch immer – nur genau hier, in dieser Schikane, handwerklich exakt verteilt auf dem Teer liegt. Hat hier jemand etwas gegen Radfahrer, oder ist das nur eine schlechte Planung? War der gute Teer alle? Das Rad schlingert über die kleinen Steinchen. Zum Nachdenken bleibt aber nur wenig Zeit, denn ich muss den Lenker jetzt nach links reißen um die nächste, ebenso scharfe und rechtwinklige 90 Grad Kurve Richtung Gleis zu überleben. Und schwupps geht es über die Gleise. Geschafft.
Also: das Kiesbett ist wohl doch Absicht! Warum stehen aber dann nicht auch so wie der Autobahn dazu ein paar Hinweisschilder? Ich hätte da ein paar lustige Ideen, etwa so mit stürzenden Radfahrern, Aufforderungen zum Absteigen, oder mehr. Nur groß sollten diese Schilder sein und nachts beleuchtet.
Aus Richtung Lunden kommend ist diese Schikane übrigens noch schlimmer: die erste Kurve direkt hinter den Gleisen kommt völlig überraschend und ist eigentlich nicht zu schaffen. Wer hier zunächst noch zuversichtlich bleibt, den bringen Rollsplitt und Nässe sicher zu Boden. Fehlt eigentlich nur noch die Schmierseife. Hier bin ich schon mehrfach geradeaus über die kleine Böschung auf den – zum Glück - direkt daneben laufenden geteerten Feldweg geraten. Bisher zwar noch kein Sturz – aber mal sehen was die Zeit bringt. Warum, liebe Bauarbeiter, ist an dieser Stelle eigentlich kein tiefer Graben? Da fehlt mir was, ist einfach nicht konsequent.
Ich bleibe jetzt mal kurz bei der Fahrtrichtung Lunden-Heide. Jetzt sehe ich mir das eben schon erwähnte Verkehrsschild mal an, dass am Ende des Feldweges steht, also zwischen Fahrbahn und Radweg. „Links abbiegen“ heißt es da und darunter „Radfahrer frei“. Frei für was? Grübeln soll ja gegen Alzheimer helfen, aber das fordert mich jetzt doch schon erheblich. Rechts rum geht es auf die Hauptstraße – kann doch wohl nicht gemeint sein. Dann die Erkenntnis. Sollte irgendwann doch mal ein auf dem Rad fahrender Landwirt aus diesem Feldweg von seiner harten Arbeit kommend diese Stelle erreichen, soll er die 180 Grad Spitzkehre zurück auf den Radweg Richtung Lunden fahren. Wow, da soll man erst mal drauf kommen. Wie hieß der Ort – Schilda?
Der Feldweg wurde übrigens an dieser Stelle auf zwei Spuren verbreitert, um den landwirtschaftlichen Berufsverkehr zu erleichtern. Das geht natürlich nur zu Lasten des Fahrradweges. Dann kommt da eben so eine durchgeknallte Schikane bei raus. Ist logisch.
Damit jetzt erst einmal genug von meinen Erfahrungen. Fortsetzung folgt. Denn mir fallen da spontan ein paar Stellen in Heide ein über die ich gerne berichten möchte. Oder ein Loblied auf die vielen lieben Mitmenschen, die leere Flaschen auf den Fahrradwegen kaputt schmeißen. Alle 2 bis 4 Wochen habe ich inzwischen einen Platten.
(28.08.2011) Ein Update: in Weddingstedt hat sich tatsächlich in der letzten Woche überraschend schon etwas getan. Die Wurzelaufbrüche im Radweg Verlauf Alter Landweg, Höhe Weg 2, wurden beseitigt. Vielen Dank an die fleißigen Bauarbeiter!
(06.05.2014) Zwischenzeitlich wurde fast die gesamte Strecke erneuert - bis auf das Teilstück in der Ortschaft Wittenwurth. Da fehlt wohl das Geld...? Der Bahnübergang ist aber so geblieben, wie er oben beschrieben ist. Wer denkt sich eigentlich so etwas aus...? Liebe Bauarbeiter: seht euch doch mal aus Richtung Heide kommend die wohl nur für Radfahrer gedachten Rotlichter beiderseits des Radweges an. Was meint ihr, wie oft dort schon Autofahrer - irritiert von diesem Rotlicht - eine Vollbremsung hingelegt haben? Oft.